Ein neuer Blick auf die Unendlichkeit

8. Februar 2023

David Deutsch liefert in seinem Buch Der Anfang der Unendlichkeit: Erklärungen, die die Welt verwandeln genau das: Eine Ansammlung von Erklärungen zum Menschsein, die an einigen Grundfesten rüttelt. Düstere Ansichten lässt er dabei nicht aus, aber dennoch liegt seinem Buch ein positiver und vor allem klar optimistischer Ton zugrunde.

Wissen und Fortschritt als Lebensgarant 

„Die Biosphäre der Erde ist nicht in der Lage, menschliches Leben zu erhalten.“ Wir leben per Logik am Rand des Abgrundes. Nichts an unserem Menschsein ist stabil und daher führt auch ein Festhalten an vermeintlich alt Bewährtem nicht weiter. Eine Gesellschaft, die nach Komfort, Sicherheit und Langlebigkeit für seine Bewohner strebt, wird demnach untergehen. Unser einziger Retter kann und wird unser menschliches Wissen sein – ein immer neues, sich stets wandelndes und kritisch prüfendes Wissen. Das ist es, was uns Menschen ausmacht, denn: 

Probleme sind unvermeidbar“, aber „Probleme sind lösbar“. 

Das fortlaufende Lösen von grundsätzlichen Herausforderungen und Problemen ist Fortschritt – genau das ist der Kerngedanke der Aufklärung und der Wissenschaft. Um diesem stetigen Finden von Lösungen gerecht werden zu können, benötigen wir ein System zum Wissenstransport über Generationen. Eine Möglichkeit, wie sich Ideen und Gedanken über einen längeren Zeitraum replizieren können, sind Meme. Diese können universell sein und sich zwischen Kulturen bewegen. 

Diese Werte werden durch vor allem linke Identitätspolitik angegriffen und ausgehöhlt. Denn bei der heute auch in Deutschland schon verbreiteten Identitätspolitik geht es um die Reduktion auf die Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe von Menschen. Deren Bedürfnisse sollen durch die Politik mehr Anerkennung erhalten, um den Einfluss und die Position der entsprechenden Gruppe gesellschaftliche zu stärken.

Demokratie als System zur Fehlerkorrektur

Deutsch nimmt in seine Ausführungen ebenfalls Gedanken zur Fehlerkorrektur und zu Wahlsystemen mit der klaren Begründung, warum Mehrheitswahlsysteme den repräsentativen Wahlsystemen überlegen sind, auf. Sie erfüllen die Forderung von Karl Popper besser, einen schlechten Herrscher ebenso wie schlechte Ideen effizienter zu entfernen. Denn es ist gerade die Stärke der Demokratie, zwischen den Wahlen Ideen zu entwickeln, zu diskutieren und die schlechtesten Ideen über einen Wahlvorgang auszusortieren. Die Demokratie ist also letztlich ein System der Fehlerkorrektur für Herrschaftssysteme. Minderheitenschutz und die Möglichkeit zur Überzeichnung in einer Welt der Cancel Kultur und Wokeness helfen uns nicht weiter. 

Wir bringen die Menschheit also im Kleinen wie im Großen voran, wenn wir uns auf die Förderung und Etablierung von Systemen konzentrieren, die Vielfalt, neue Ideen und Pluralität ermöglichen. Daran anschließend ist ein Konzept notwendig, mit Hilfe dessen die wirklich schlechten Ideen aussortiert werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die besten Ideen gewinnen müssen, aber eine Kompromisslösung zu Gunsten der Fairness ist an dieser Stelle schlichtweg nicht zielführend. Wenn man wirklich Probleme lösen will, kann und darf der Fokus nicht auf einer möglichst breiten Rücksichtnahme liegen. Anstatt sich also daran abzuarbeiten, eine allen gerecht werdende Lösung zu finden, muss eine allen helfende Lösung entwickelt werden. Diese Logik gilt für die Politik genauso wie für eine erfolgreiche Unternehmensführung. 

Unendlichkeit des eigenen Handelns

Leicht schockiert lässt einen die vermeintlich logische Schlussfolgerung zum Vorsorgeprinzip zurück, welches seit Jahrzehnten in Deutschland und letztlich in der gesamten EU angewendet wird. Nach Deutschs Logik führt das Vorsorgeprinzip zu blindem Pessimismus, da alles vermieden wird, von dem man nicht weiß, ob es sicher ist. Diesen Gedanken führt er sogar noch weiter, indem er skizziert, wie dieses Prinzip letztlich eine starre Gesellschaft formt. 

Solch eine starre Gesellschaft hält Individuen von dem Lösen der wichtigen Probleme ab. Diese Starrheit manifestiert sich in vielfältiger Form, eine der vor allem in Deutschland wohl bekanntesten dafür sind Bürokratien. Die in ihnen handelnden Bürokraten sind trotz Starrheit jedoch keineswegs unkreativ. Dieser falsche Rückschluss lässt sich durch die Notwendigkeit aufdecken, dass für das Abbilden der Realität auf die Regeln der Bürokratie, also die Meme, Kreativität eine entscheidende Ressource darstellt. Es ist also wesentlich, für was wir Menschen unsere Kreativität einsetzen. Für das Lösen neuer, noch nicht gelöster Probleme, oder die Anpassung der Realität an unsere Meme. 

Bürokraten sind Gegner der Aufklärung

Bürokraten wollen eine Gesellschaft, in der Veränderungen über eine so lange Zeitspanne erfolgen, dass ihre Mitglieder diese Veränderungen nicht bemerken können. Solche Kulturen werden von antirationalen Memen dominiert, worunter Ideen zu verstehen sind, die sich auf die Beeinträchtigung der kritischen Fähigkeiten der Empfänger stützen, um ihre Replikation zu bewirken.  

Es ist die menschliche Kreativität, die den Unterschied zu allen anderen Lebensformen macht. Denn Kreativität hilft uns, Meme zu entwickeln, sie anzuwenden und sie zu übertragen, also zu replizieren. 

Versuch der anhaltenden Wissensschöpfung

Nach Deutschs Auffassung besteht unsere Aufgabe darin, die Aufklärung konsequent fortzuführen: „Die Aufklärung ist der Zeitpunkt, an dem erklärendes Wissen seine bald übliche Stellung als wichtigste Determinante physikalischer Ereignisse anzunehmen beginnt. Zumindest kann sie dies sein: Wir sollten uns daran erinnern, dass das, was wir hier versuchen – die anhaltende Wissensschöpfung – noch nie zuvor geklappt hat. In der Tat wird alles, was wir von jetzt an zu erreichen versuchen, noch nie zuvor geklappt haben. Bisher haben wir uns in einer holprigen Übergangsphase von den Opfern (und Vollstreckern) eines ewigen Status quo in die überwiegend passiven Empfänger der Vorteile relativ rascher Innovationen verwandelt. Wir müssen nun unsere nächste Transformation akzeptieren und uns darauf freuen, sie herbeizuführen: die Transformation zu Fortschrittsakteuren in der entstehenden rationalen Gesellschaft – und im Universum.“ 

Dabei gilt es, auf ein gutes Systemdesign zu achten: „Es gibt also keine Ressourcenverwaltungsstrategie, die Katastrophen verhindern kann, ebenso wenig wie es ein politisches System gibt, das nur gute Führung und gute Politik liefert, oder eine wissenschaftliche Methode, die nur wahre Theorien liefert. Es gibt jedoch Ideen, die zuverlässig Katastrophen verursachen. Eine davon ist die berüchtigte Idee, die Zukunft sei wissenschaftlich planbar. Die einzige rationale Politik besteht in allen drei Fällen darin, Institutionen, Pläne und Lebensweisen danach zu beurteilen, wie gut sie in der Lage sind, Fehler zu korrigieren: schlechte Politik sowie schlechte Führungen zu entmachten, schlechte Erklärungen zu ersetzen und sich von Katastrophen zu erholen.“ 

David Deutschs Buch ist zweifelsohne eine Bereicherung für unsere täglichen Gedanken. Zugegebenermaßen gestaltet sich das Lesen an der ein oder anderen Stelle anstrengend, doch der absolute Optimismus und die schier ansteckende Lebensfreude lassen einen die Lektüre nicht aus der Hand legen.  

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David Deutsch
Der Anfang der Unendlichkeit: Erklärungen, die die Welt verwandeln
Deutsche Verlags-Anstalt, 587 Seiten, 21,99 Euro
E-Book 16,99 Euro

Quelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/beleuchtete-ringe-am-strassenrand-290470/
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