Ist die Zeit reif für eine neue, unverklärte Sicht auf Blockchain und Web3?

22. Juni 2022

Die Krypto-Anhänger mussten sich in den letzten Wochen an viele Tiefschläge gewöhnen. Nicht nur die direkt ablesbaren Kurse vieler Kryptowährungen sind um mehr als 50 Prozent abgestürzt; einige Geschäftsmodelle und die dahinter liegenden Unternehmen hat es sogar komplett zerlegt, zum Beispiel Celsius.

Die Skeptiker haben es schon immer gewusst, die Hard-Core Fans sind noch komplett dabei und viele Menschen dazwischen sind mindestens stark verunsichert. Dabei besteht kein Grund zur Häme, denn Blockchain als Technologie wird diese Krise sicherlich überstehen, eben weil es eine skalierbare dezentrale Lösung für verteilte Transaktionen ist. 

Können wir Blockchain-Technologie noch trauen? 

Jetzt geht die Suche nach dem Schuldigen und einer Erklärung los. Mit mehr Regulierung wäre das nicht passiert – so eine häufig zu hörende These. Dabei ist klar: Die Technologie Blockchain funktioniert tadellos. Wir wollen hier nicht über Hacks und andere im Gesamtbezug als unwesentlich einzustufende Vorfälle reden, da sie tatsächlich für die Gesamtaussage irrelevant sind.

Das Gesamtsystem Krypto besteht aus der Blockchain-Technologie in Form von vielen verschiedenen unterschiedlichen Implementierungen und Bezeichnungen. Die einzelnen Systeme laufen auf Millionen von Servern, verteilt über den Globus. Über Gateway Broker werden Fiat Währungen in die Kryptowelt getauscht. So wie in unserem alten Finanzsystem mit Zentralbanken mit staatlichem Hintergrund, Banken und tausenden von über mehr als 300 Jahren entwickelten Regeln hat sich in den letzten 10 Jahren die Das Kryptowelt System geformt.

Vertrauen können wir gegenüber Menschen aufbauen. An ein System wie die Kryptowelt oder das Fiat Finanzsystem können wir uns gewöhnen. Wir gewöhnen uns daran, dass es sich wie erwartet verhält. Das System hat keine Beziehung zu uns, wenn es unsere Erwartungen erfüllt oder auch nicht.

Enttäuscht sein können wir von Systemteilnehmern: wenn uns zum Beispiel der CEO der Firma Celsius versprochen hat, zu jedem Zeitpunkt eine Kryptowährung handeln zu können, und dieses Unternehmen sein Versprechen nicht einhalten kann.

Die Erwartung, dass das Krypto-system, weil es in nur viel geringerem Umfang von der normalen Banken-Regulierung erfasst wird, automatisch besser, stabiler und zuverlässiger sein wird als unser traditionelles Banken- und Finanzwesen, war eine Utopie. Und das nicht erst jetzt im Nachhinein, sondern vom ersten Tag an.

Diese Erfahrung mussten schon die Internetpioniere der ersten Stunde in den 1990er Jahren machen, die von einem freien, offenen und für alle dezentral zugänglichen Internet träumten. Bekommen haben wir nach einem ersten Boom und einer massiven Krise Anfang der 2000er Jahre ein Oligopol-verwaltetes zentrales Internet, in dem der Stärkere und Größere meistens gewinnt.

Wir sollten also nicht von einer Vertrauenskrise in die Technologie sprechen, wenn wir die die Blockchain-Träume vom perfekten dezentralen System und ewigem Wachstum platzen sehen. Denn es gibt kein Vertrauen in einen Algorithmus, sondern nur in Handlungen von Menschen.

Ist der Untergang aller Krypto-Werte wirklich unausweichlich?

In diesen Zeiten lohnt es sich noch einmal bei Beckert nachzulesen und sich erinnern zu lassen: Wert ist ein soziologischer Ansatz, der durch Transaktionen zwischen zwei Marktteilnehmern und dem beidseitigen Vertrauen in das System Werte erzeugt und vernichtet. Es gibt überhaupt nichts auf diesem Planeten, das einen Wert hat, den wir Menschen nicht rein über Kommunikation untereinander bestimmen. Es gibt auch keine echten Wertespeicher über Jahrhunderte, die einen realen Wert an sich haben.

Die Frage für Kryptosysteme in den nächsten Monaten ist also: Kann durch eine Anpassung der Systemregeln wieder ein höheres Vertrauensniveau erzielt werden als aktuell, oder ist das Vertrauen über viele Jahre zerstört?

Das Vertrauen vieler deutschen Privatanleger in das System Aktien wurde nach dem Dotcom- Crash erst fast 20 Jahre später wieder so weit hergestellt, dass wieder in Aktien investiert wird. Aber für die überwiegende Anzahl der Marktteilnehmer hat das System Aktien auch in der Zwischenzeit funktioniert.

In welche Richtung es für die Kryptowelt geht, entscheiden also wir Menschen durch Kommunikation und letztlich unsere Handlungen. Vielleicht sind die Millionen von Menschen, die als relative Early Adaptor investiert und verloren haben, letztlich irrelevant. Denn es ist einfach so viel Kapital in Krypto-Unternehmen geflossen, dass es jetzt eine stabile Menge von Followern gibt, die einsteigen, wenn der Kurs erstmal um 95 Prozent gefallen ist.

Wer kann schon wirklich das Verhalten von Menschen vorhersagen? Aber klar ist, dass der generelle Untergang der Kryptosystem-Welt sehr unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlicher ist, dass auf dem Schutt der zerstörten ersten Welle eine neue System-Landschaft entsteht. Mit ein wenig mehr Regulierung, weil die Menschen, die Geld verloren haben, jetzt doch nach dem Staat rufen.

Inkohärenz der Fakten-Akzeptanz – wir Menschen sind so wunderbar naiv

Eigentlich ist alles so einfach erklärbar. Aber wir leben in Meinungsblasen, haben unsere Peers, uns sind die Mechanismen als rational begabte Wesen so weit klar. Und doch bin ich wieder einmal von meiner Naivität überrascht worden und davon, wie unterschiedlich wir alle die Welt um uns herum wahrnehmen.

Eine eigentlich kleine Gruppe von Menschen auf diesem Planeten: VC- und PE-Fonds Manager und die dazu gehörigen Investoren. Man trifft sich in Berlin. Fliegt aus den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern ein und begegnet sich endlich wieder persönlich. Alle lesen die gleichen internationalen Börsen- und Industrie-Nachrichten. Die US-amerikanischen VC-Fonds Manager berichten von der tiefgreifendsten Krise seit der Dotcom-Blase. Die Zeiten des Wachstums um jeden Preis seien endgültig vorbei. Die europäischen VC Kollegen sehen düstere Wolken, aber es sei ja noch so viel Kapital da. Die PE-Kollegen im Hotel 600m weiter sehen – außer vielleicht einer kleinen Korrektur für die PE-Welt – keinen Handlungsbedarf und gehen von stabilen Bewertungen aus. Klar, die VC-Kollegen haben auch wirklich ein wenig übertrieben mit ihren Multiples.

Natürlich ist diese Pauschalierung grob vereinfacht. Es hat mich umgehauen, in wie unterschiedlicher Form Menschen, die in sich berührenden Industrien arbeiten, diese Welt sehen und welcher Konsens sich daraus in Diskussionen für einzelne Gruppen ergibt.

Aber eines ist klar: Die Menschen haben sich getroffen, um ein Ziel zu erreichen. Die einen wollen etwas verkaufen und die anderen wollen eigentlich etwas kaufen. Nur nicht zu teuer. Und so führen die Geschichten in allen Kommunikationsblasen zum gleichen Ergebnis. Jetzt kaufen ist eigentlich genau das Richtige. In die niedrigen Bewertungen hinein kaufen sagen die einen; die anderen verneinen, dass es überhaupt weiter heruntergehen kann mit den Bewertungen.

Das Ergebnis machen wir dann in der Einzelabstimmung. Deal by Deal. Egal, ob eine große Transaktion für mehrere Millionen in einem privaten Markt wie der VC- oder PE- Welt oder an einer Krypto-Börse. Einer kauft, der andere verkauft. Beide Kontrahenten haben Erwartungen und versprechen sich einen persönlichen Vorteil. Sie vertrauen dem System.

Wird es also nach einem reinigenden Gewitter im Krypto-Universum doch irgendwie weitergehen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir Menschen naive Optimisten sind und sein müssen, damit wir es gemeinsam auf diesem Planeten aushalten. Bis dahin bleibt die Hoffnung auf das Funktionieren eines anderen Systems – unserer Intelligenz – als unsere Fähigkeit, auf eine unbekannte Situation angemessen zu reagieren.

Quelle: https://unsplash.com/photos/nft24qOFDao
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