Knappheit gestalten und die Krise zur Transformation nutzen

18. Mai 2022

Zeitenwende oder eine neue Ära? Wir Menschen versuchen zu begreifen, was sich gerade in unserer Welt abspielt: Eine neue Sicherheitslage, ein neues Verständnis für die Zerbrechlichkeit unserer Gesellschaft durch einen winzigen weltweiten Virus und die sich daraus ergebenden massiven Lieferkettenprobleme. Unsere globale Wirtschaft ist in Summe nicht flexibel und robust genug, um die externen Störungen der letzten zwei Jahre zu bewältigen. Da nutzen auch keine weiteren Geldinjektionen von Regierungen. Inflation und Zinserhöhungen zeigen: jetzt kommt mindestens eine Transformation. Und alle spüren und wissen es. Vielleicht bezeichnen wir es im Nachhinein auch als Krise.

Was wird in dieser Transformation aus unserem digitalen Wachstums-Mantra? Was wird nach der Transformation aus dem Gedankengebäude der letzten 20 Jahre mit einer Welt im digitalem Überfluss und stetig scheinendem Wachstum? Denn die 2000er und 2010er Jahre haben uns vor allem gelehrt, dass eine vernetzte digitale Welt monatlich neue Produkte und Services und immer neue Dimensionen des Wachstums in jeden Winkel unseres Consumer- Lebens bringt.

Wachstum und Überfluss – 15 Jahre digitale Plattformen

Das Neue der letzten 20 Jahre sind die digitalen Consumer Services aus dem Silicon Valley, die sich weltweit grenzenlos skalieren lassen:

  • In der digitalen Welt sind die Grenzkosten für einen weiteren User nahezu null, das verspricht eine Welt im Überfluss.
  • Musik und Filme sind überall nutzbar. Anstatt einer Abrechnung pro Song oder pro Film gibt es sie einfach als Flatrate.
  • Für die Helden-Firmen, die uns dies beigebracht haben, gibt es Netzwerkeffekte gratis obendrauf, die uns zu folgsamen Jüngern von Recurring Business Modellen machen.

Das ultimative Geschäftsmodell ist das der Plattformen: Uber, Airbnb, Google oder Facebook müssen gar keine eigenen Assets mehr besitzen und können doch Kunden, Preise und die Anbieter der Leistungen fast nach Belieben ausnehmen. Die Bewertung und das Wachstum dieser Unternehmen schien über beinahe 15 Jahre hinweg kein Ende zu nehmen. Corona hat diese Entwicklung sogar noch verstärkt.

Das Plattform-Geschäftsmodell war für mehr als 10 Jahre die Königsdisziplin, das Nonplusultra, das es zu erreichen galt. Amazon, Apple und Google sind die Herrscher der Welt. Die wertvollsten Unternehmen der Welt sind bis heute solche digitalen Plattformunternehmen.

Digitale Plattformunternehmen sind der Inbegriff einer unendlich scheinenden digitalen Wachstumsmaschine. Sie können es in der Fülle ihrer Macht mit Staaten aufnehmen, weil diese auch mit Antitrust-Gesetzen nur schwache Waffen zu haben scheinen. Digitale Plattformunternehmen stehen für eine globale perfekt vernetzte Welt ohne Grenzen, die jedem B2C-Individuum Zugang zu den neuen Möglichkeiten des Digitalen Himmels geben. Der einzige kleine Haken: der Verlust der Autonomie.

So war das in der Welt, die das Silicon Valley nach der Dotcom-Blase hervorgebracht hat und die wir in Deutschland seit 10 Jahren versuchen zu kopieren. Aber diese Welt steht auf den Schultern eine industriellen B2B-Digital-Logik, und die beherrschen wir auch in Deutschland ganz gut. 

In der digitalen Welt zählt Größe und brutale Rücksichtslosigkeit

Mit Hilfe von digitalen Prozessen können vor allem die großen Konzerne ihre Macht festigen und weiter skalieren. In dieser Disziplin haben es deutsche Konzerne wie SAP als Werkzeughersteller für solche Strukturen und die Automobilhersteller als Anwender digitaler Prozesse weit gebracht. Schon in den 1990er Jahren wurden mit dem Just-in-Time-Ansatz die Risiken auf den Lieferanten geschoben. 

Die großen Automobilwerke haben den Takt für die Lieferanten vorgegeben, dem sich alle in Bezug auf Qualität, Liefermenge und Lieferzeitpunkt unterzuordnen hatten.

In dieser Welt zählt nur Größe, weil man mit einem digitalen Prozess, der 1.000 Stück abwickeln kann, auch 1.000.000 Einheiten realisieren kann. The winner takes it all. So ist das in der Welt von digitalen Grenzkosten nahe null – sowohl in der B2B- als auch in der B2C-Welt.

Aus Störungen werden Krisen

Die letzte große Störung im Jahr 2008 war eine Vertrauenskrise im Finanzsystem. Zuvor ist im Jahr 2000 die Dotcom-Blase geplatzt und im September 2001 wurde das amerikanische Ego der Unverwundbarkeit empfindlich getroffen. Die daraus resultierende Wirtschaftskrise hat bis zum Jahr 2003 angehalten.

Aktuell haben wir es mit mindestens drei massiven Störungen zu tun: Covid als Demand- Störung (2020) mit einer induzierten Supply-Störung vor allem in der Chipindustrie als Folge (2021) und nun den Ukraine-Krieg als Sicherheits-Krise (2022). Aus den ersten beiden Störungen konnten und durften wegen der enormen staatlichen Subventions-Programme gar keine echten Krisen werden. Das wurde staatlich dirigistisch verboten und mit aller Macht verhindert.

Vielleicht hätten die Wirtschaftssysteme sogar die dritte Störung durch den Ukraine-Krieg noch ohne Transformation oder Krise verarbeiten können. Einige Wissenschaftler, Mahner und Propheten haben immer Menschen zum Nachdenken gebracht.

Von Seiten der Fed und der EZB sowie durch die Zinsen wurden wir daran erinnert, dass hohe Schulden doch nicht irrelevant sind. Und endlich durften wir die digitale Wachstums-Euphorie der letzten 20 Jahre in Frage stellen. Endlich haben wir unseren Anlass zum Nachdenken bekommen. Endlich durften wir uns in unsere Krise stürzen.

Die letzte Krise im Jahre 2008 war eigentlich ein reines Finanzproblem. Wer nicht als Privatperson bei einer Investmentbank gearbeitet oder unvernünftigerweise ein zu großes Haus gekauft hatte, hatte eine reale Chance, von dieser Krise nicht betroffen zu sein.

Aber jetzt – endlich – ist so viel aus dem Lot geraten, dass wir uns mit aller Energie in den Krisenmodus stürzen können. Und das tun wir Menschen mit Hingabe und Leidenschaft. Jetzt wissen wir alles besser und fragen uns, wie es so weit kommen konnte. 

Neue Werte – neue Epoche

In Deutschland haben wir eine historische Chance, dass die Partei, die für die Rettung der Umwelt angetreten ist, nun eine riesengroße gesellschaftliche Transformation anstößt und umsetzt. Denn die Werte in der Industrie und in der Bevölkerung ändern sich.

  • Auf einmal hat Lieferfähigkeit einen Wert. Und auch Sicherheit hat wieder einen Wert.
  • Kostenoptimierung ist nicht mehr der wesentliche Punkt.
  • Plattformen sind ethisch nicht mehr ok.
  • Wachstum um jeden Preis wird nicht mehr geschätzt.

Diese Werte-Transformation bringt uns in eine neue Epoche. Eine Epoche, in der digitale Technologie immer noch ein wesentlicher Treiber ist. Aber Digitalisierung wird nicht mehr für unendlich erscheinendes Wachstum eingesetzt, sondern zur effizienten Verwaltung einer neuen Knappheit, denn: Sicherheit erfordert, die Knappheit jeglicher Form von Ressourcen effizient zu verwalten.

Nach Uber, Wework und Peloton sind die goldenen Digitalisierungsjahre mit unbändigem Wachstum vorbei. Covid hat durch das viele Geld im Markt die Party nochmal verlängert. Aber an vielen Stellen ist eine neue Besinnung auf Werte zu spüren.

Das ist eine Chance für die Impact-Logik!

Kreislaufdenke, Einbeziehung von SDG in Businesspläne, das handwerklich aufwändige Einbinden von konkreten Auswirkungen unternehmerischen Handels auf die SDG und damit auf unseren Planeten: genau mit diesem Spirit von Impact-Unternehmertum und Impact-Investing können wir diese Transformation aktiv und positiv gestalten.

Die Megatrends dieser Transformation sind heute schon klar zu erkennen:

Knappheit von Human Resources: Die Globalisierung der letzten 30 Jahre wurde getrieben durch unsere Go East- Mentalität zu Reduktion von Lohn-Stück Kosten. Denn dort gab lange Zeit die preiswerteren Arbeitskräfte. Zunächst Osteuropa, dann China und Asien. Diese Zeiten sind jetzt vorbei. Der Fachkräftemangel macht sich in immer mehr Bereichen bemerkbar und kann, wenn überhaupt, nur durch einen massiven Digitalisierungsschub gedämpft werden.

Knappheit von Umweltressourcen: In den letzten Jahren haben wir uns vor allem auf die CO2-Einsparung gestürzt. Mit den SDG stehen in Summe 17 auf UN-Ebene abgestimmte Ziele zur Verfügung. Mit diesen haben wir den ressourcenschonenden Umgang mit unserem Planeten in konkret umsetzbare Ziele verpackt. Das ist ein idealer Startpunkt für die Impact-Logik für Investoren, Unternehmer, Mitarbeiter und Verbraucher.

Knappheit in der Supply Chain: Lager (Puffer) haben einen Wert, wenn sie die Lieferfähigkeit erhöhen. Unternehmen, die ihren gesamten Einkaufsprozess und die Produktionsbatchgröße durch vollständig digitale Prozesse am Engpass ausrichten können, schaffen für Kunden durch höhere Lieferfähigkeit einen Mehrwert. Scarcity und Engpässe müssen erkannt und aktiv gemanagt werden. 

Dezentrale und offene Marktplätze anstatt zentraler Plattformen. Die Politik hat begonnen, wirksame Mittel gegen zentrale Plattformen zu finden. In Europa und den USA mehren sich kritische Stimmen, die eine stärkere Regulierung für Plattformen fordern. Komplett dezentrale Konzepte wie die Blockchain können zwar für die Abwicklung von Transaktionen genutzt werden, benötigen aber offene Marktplätze, auf denen Handelsparteien komplexe Informationen auch zu B2B-Produkten und Services austauschen können.

Offene digitale Lösungsbausteine (Building Blocks) mit standardisierten offenen Schnittstellen schaffen neue dezentrale Lösungen. Damit kann man leider nicht mehr so unverschämt reich werden, wie mit Monopol- oder Oligopol-artigen Plattform Konzepten. Aber benötigen werden wir solche Systeme in Zukunft auf jeden Fall!

Mit diesen Treibern der Transformation werden wir eine neue digitale Post-Wachstums- Epoche einleiten. Digitale Technologie wird eine neue Rolle einnehmen. Weg vom Ermöglicher von Wachstum, hin zu einem Ermöglicher eines möglichst effizienten Einsatzes von knappen Ressourcen. Dezentralität und Offenheit werden in der nächsten Wirtschafts-Epoche eine größere Rolle spielen als in der zurückliegenden Epoche, in der wir uns vor allem um das digitale Wachstum gekümmert haben.

Die große Chance dieser Trends liegt darin, dass die so entstehenden Systeme auch in einem politisch komplexeren Umfeld Sicherheit erzeugen können. Und genau diesen größeren Sicherheitsbedarf haben wir durch die Störungen der letzten zwei Jahre erkannt. 

In diesem Sinne sollten wir die anstehende Krise begrüßen und sie als dringend benötigte gesellschaftliche Transformation nutzen und gestalten!

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