Wege in eine neue Globalisierung

30. Januar 2019

Globalisierung ist heute kein Ziel mehr. Dabei hat uns die Idee der globalen Vernetzung im vergangenen Jahrhundert in zwei Schüben Wohlstand und Fortschritt gebracht. Die erste Phase der Globalisierung fand durch den ersten Weltkrieg ein abruptes Ende; und die zweite Globalisierungswelle, die in den 1950er Jahren begann, ist spätestens mit den protektionistischen Bestrebungen der Ära Trump und dem Brexit ins Stocken geraten. In ihrem Buch Die erschöpfte Globalisierung analysieren Michael Hüther, Matthias Diermeier und Henry Goecke die Entwicklungen aus historischer Sicht und wagen sich an einen Ausblick.
Heute bedeutet Globalisierung nach Ansicht deren Gegner vor allem eine ungezügelte neoliberale Marktordnung, geprägt von multinationalen Konzernen, die von Staaten nicht mehr kontrolliert werden können. Dabei ist die Grundlage von Globalisierung deutlich mehr:

  • freier Handel
  • freier Güterverkehr
  • Migration und
  • Wissensdiffusion.

Migration als Eckpfeiler der Globalisierung

Migration war sowohl in den Jahren vor 1914 als auch in den 1950er bis 1980er Jahren ein Eckpfeiler der Globalisierung. Für Millionen Menschen auf unserem Globus war er die Möglichkeit, sich auf den Weg in ein anderes Land und ein neues Leben zu machen. Erst mit dem Schwinden unseres Vertrauens in das gesamte Wirtschaftssystem nehmen wir Migration als Bedrohung war. Wir führen hitzige Debatten, obwohl die Zahlen klar belegen, dass die Migration in den Industrienationen gerade in den letzten Jahren deutlich niedriger war, als etwa vor 30 oder 100 Jahren.

Wertschöpfung durch Wissensaustausch und Handel

Globalisierung bedeutet auch Wissensdiffusion und freien Güterverkehr – zwei Bereiche, die durch die Digitalisierung der letzten Jahre massiv zugenommen haben und durch die sich global vernetzte Wertschöpfungsketten entwickelt haben.
Und ja, Globalisierung ist auch freier Handel. Ein Konzept, das durch das weltweite Finanzsystem, das uns die Finanzkrise 2008 gebracht hat, sowie durch weltweit operierende Konzerne stark in Verruf gekommen ist.
Dies ist nicht wirklich verwunderlich, denn letztlich greifen diese vernetzten Wirtschaftsstrukturen die hierarchischen Machtstrukturen von Nationalstaaten an und höhlen diese aus. Die Anlehnungen und Erläuterungen von Ferguson machen diesen Kampf zwischen Netzwerk und Hierarchie plastisch deutlich.
Dabei konnten sich unter dem Washington consensus und dem Konzept der neoliberalen Märkte die Demokratie und der Kapitalismus über viele Jahre des 20. Jahrhunderts hinweg befruchten und sich Hand in Hand weiter entwickeln. Indes haben die Experimente der Nachkolonialen Entwicklungsländer aber eine Hoffnung klar nicht erfüllt: Der freie Markt führt nicht zu mehr oder besserer Demokratie – auch wenn man dies über viele Jahre gehofft hatte.

Das Ende der bekannten Wirtschaftsordnungen

Nachdem zuerst der Faschismus, und seit 1989 auch der Kommunismus als gescheitert gelten mussten, zerlegt sich das letzte große Wirtschafts-Narrativ selbst: der Kapitalismus. Es ist kein Scheitern mit Beweis, sondern ein schleichender Untergang mangels Vertrauen.
Und da wir versäumt haben, uns Alternativen aufzubauen, richtet sich unser mangelndes Vertrauen in die Kräfte der Globalisierung vor allen Dingen gegen vorhandene Ansätze – ohne eine neue Idee zu verfolgen. Genau das sehen wir bei der breiten und verteilten Zustimmung aus verschiedenen Lagern für Trump und für den Brexit.

Ansätze für die dritte Globalisierungswelle

Die Analyse, Beispiele und Erläuterungen des Autorentrios Hüther, Diermeier und Goecke sind einleuchtend und faszinierend zu verfolgen. Ihr Versuch, neue Felder für ein Narrativ zu finden, das die Globalisierung in eine dritte Welle mit frischer Energie und neuem Konzept tragen kann, kommt an die Tiefe ihrer Analyse jedoch nicht heran.
Die Ideen sind sehr abstrakt:

  • Mindestmaß normativer Klärung für Globalisierungskonzepte
  • Lösung für das persistente Vertrauensproblem in Entwicklungsländern
  • Stärkung der demokratischen Strukturen – Erneuerung der Zivilgesellschaft

Die Konkretisierung am Beispiel unserer neuen Herausforderung der Umsetzung der Umweltziele mit einer verbindlichen Reduktion unseres CO2-Ausstoßes ist eine erste Idee, aber eben noch kein tragfähiges Konzept, wie wir Globalisierung als Verteilungskampf in Zukunft sinnvoll organisieren können.
Auch wenn der Ausblick noch kein klares neues Narrativ für eine nächste Welle der Globalisierung erkennen lässt, bringt die Analyse eine Vielzahl von Denkanstößen. In vielen Facetten erläutern die Autoren unsere heutige Situation der globalen Welt mit staatlichen Systemen, unserem Finanzsystem und uns Menschen als handelnden Personen, die ein neues Vertrauen in eine global vernetzte Welt brauchen. Denn Abschottung und Isolation sind nachweislich die falsche Richtung.
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Michael Hüther, Matthias Diermeier, Henry Goecke
Die erschöpfte Globalisierung: Zwischen transatlantischer Orientierung und chinesischem Weg Springer Verlag, 423 Seiten, 19,99 Euro
Kindle-Ausgabe 14,99 Euro

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