Wie digitale Plattformen Märkte zerstören

24. Januar 2019

Unsere Gesellschaft diskutiert und sinniert darüber, was Digitalisierung alles verändern wird. Für die einen ist es nur eine Technologie, für die anderen eine unternehmerische Chance; und einige wenige versuchen, die Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Handeln zu verstehen.

Märkte: Austauschplattform und Steuerungsinstrument

Digitalisierung ermöglicht das blitzschnelle Verbinden von Informationen über Entfernungen und gesellschaftliche Grenzen hinweg.

Damit wird eigentlich klar, dass die Digitalisierung auch unser kapitalistisches Grundsystem radikal verändern wird. Das Grundkonzept des Kapitalismus basiert auf einer gesellschaftlichen Annahme oder Voraussetzung, der sich sozial agierende Individuen seit der Aufklärung unterwerfen: dem Privateigentum.

Neben dieser soziologischen Komponente beruht das gesamte Gedankengebäude auf einer These: Der Markt ist die effizienteste Form der Steuerung von Produktion und Konsum.

Immerhin konnte diese Markteffizienzhypothese von Fama, Shiller und Hansen vor ein paar Jahren mit ein paar weiteren Annahmen sogar bewiesen werden und wurde 2013 mit dem Wirtschaftsnobelpreis belohnt. Demnach ist der Markt die effizienteste Form der Kooperation von zwei Wirtschaftspartnern.

Dass diese These richtig ist, wenn ich vergleichbare Waren zu einem fixen Zeitpunkt erwerbe oder tausche, scheint einsichtig. Der Ansatz gilt bei Autos und Häusern ebenso wie beim Kauf einer CD. Über die Kategorisierung von Qualitäten können wir uns vor dem Kauf die notwendigen Informationen beschaffen und zum Kaufzeitpunkt eine Entscheidung fällen.

Entlohnung für alle Beteiligten im Markt

Interessant ist auch, wie Marktplätze in der bisherigen Welt des Kapitalismus für die Vermittlung honoriert werden: Der Lebensmittelhändler erhält einen Anteil am Verkaufspreis, wenn er Herstellern die Möglichkeit gibt, ihre Waren in seinem Schaufenster und Regalen auszustellen und damit zum Kauf anzubieten.

Wertpapierhandelsplätze wie die NYSE oder Deutsche Börse erhalten einen fixen Anteil am Wert der Wertpapier-Transaktion, ebenso wie der Immobilienmakler oder der Autoverkäufer.

Warum Digitalisierung Auswirkungen auf den Kapitalismus hat

Vergleichsportale erhöhen die Informations-Effizienz und verringern zunächst die möglichen Marktverzerrungen durch ungleiche Informationsverteilung. Erreichen Markplätze eine eigene Reichweite, können sie die Markteffizienz an der einen oder anderen Stelle austricksen, so wie wir es bei Amazon oder großen Vergleichsportalen heute sehen.

Die Qualität eines Marktplatzes lässt sich nach der Transparenz der Regeln für die Teilnehmer beurteilen: So schaffen Börsen wie die NYSE oder die deutsche Börse Qualitätsstandards (z.B. den Prime Standard, Regeln zum Insider-Handel), um die gleichwertige Informationsversorgung aller Teilnehmer zu gewährleisten. In vielen anderen Bereichen gibt es weniger Transparenz für uns Verbraucher (etwa bei Amazon oder einem Internet Shop).

Die Effizienz eines Marktplatzes hängt also im kapitalistischen System von der Effizienz der Informationsverarbeitung ab. Das ist auch genau der Grund, warum Hochfrequenzhandel funktioniert und die eigentlich verschwindend kleine Zeitspanne von 10ms als Latenz der Informationsverarbeitung innerhalb eines Rechenzentrums entscheidend für Vor- und Nachteile in diesem System sind.

Plattformen verändern unser Konsumverhalten

Eine digitale Plattform koppelt zwei Märkte, die bisher unabhängig voneinander funktioniert haben, und verändert die Art und Weise, wie wir die Leistung konsumieren. Der Markt der Musiker hat früher Alben produziert und dieses Endprodukt in Form von LPs oder CDs an Konsumenten verkauft. Das Koppelprodukt beider Märkte war also die CD als handelbare Einheit. Heute kann eine Plattform einen einzelnen Song und/oder einen Künstler als Service – Musikhören – an viele Konsumenten in individueller Form ausliefern.

Aus dem Koppelprodukt Auto wird in Zukunft der Service Mobilität. Und diesen werden wir – egal ob mit Fahrer (Taxi) oder ohne Fahrer (Carsharing, autonomes Fahren) – in sehr unterschiedlicher Form bereitstellen können.

Wie werden Plattformen entlohnt?

Die spannende Frage ist nun: Welche Entlohnung bekommt eine digitale Plattform, die wie Amazon, Apple, AirBnB oder Uber jeweils zwei oder mehr Märkte koppelt? Bekommt sie wie eine Börse oder ein Händler auf dem Markt einen Prozentsatz des vermittelten Umsatzes?

Und liegt dieser Prozentsatz wie in effizienten Märkten (Wertpapiere oder Lebensmittel) eher im Bereich von 0,3 oder 4 Prozent, oder eher bei 30 oder sogar 50 Prozent wie in ineffizienten Märkten für Möbel oder Mode? Oder gibt es, da es eine hoch effiziente voll digitale Leistung ist, einfach einen klitzekleinen festen Transaktionsbetrag?

Plattform-Services und die Vergleichbarkeit

Wie können wir Verbraucher einen Plattform-Service vergleichen? Ist Apple oder Google preiswerter? Die Geräte sind bei Apple teurer; aber die Geräte werden länger mit Updates versorgt; dadurch sind sie länger nutzbar. Das Google- Konzept erfordert, dass ich als Nutzer mehr „relevanter“ Verbraucherinformation (also Werbung) ausgesetzt bin. Doch welcher der beiden Ansätze ist auf drei Jahre gesehen wirklich preiswerter?

Festzuhalten ist, dass digitale Plattformen und As a Service- Leistungen die Vergleichbarkeit für uns Verbraucher stark einschränken, weil sie die Idealbedingungen effizienter Märkte ausschalten: Es lassen sich eben nicht mehrere Anbieter der gleichen Leistung zu einem Zeitpunkt vergleichbar darstellen. Denn der Abruf eines gewünschten Services wie Mobilität oder die zuverlässige schnelle Versorgung mit allen möglichen Waren (Amazon) findet nicht mehr zu einem Entscheidungs-Zeitpunkt mit Informations-Symmetrie statt.

Ein Service wird per Definition über einen längeren Zeitraum abgerufen und konsumiert, meist als Abo-Geschäftsmodell. Es ist gar keine Informations-Symmetrie mehr möglich, weil nicht mehr die Vergleichbarkeit der Transaktion, sondern die kontextabhängige individuelle Entscheidung im Vordergrund steht.

Plattformen und As a Service-Leistungen hebeln Markt-Funktionen aus

Plattformen und As a Service- Leistungen stellen damit die Eckpfeiler des kapitalistischen Systems, nämlich die Effizienz und die angestrebte Gerechtigkeit der Märkte, in Frage.

Das ist der Grund, warum die alten Konzepte von Monopol- und Kartell-Vermeidung in der Plattform-Ökonomie nicht mehr greifen. Wir brauchen dazu neue Konzepte, die nicht mehr auf die Kontrolle der Reduktion der Angebote oder die Anzahl der Markplätze abzielt, sondern auf die Fairness der Regeln bei der Verbindung der beiden Marktseiten.

Denn die Anzahl der Marktplätze – also die Orte, an denen sich Konsumenten und Anbieter treffen – reduziert sich in der Plattform-Ökonomie deutlich. Gibt es in einer Produktwelt jeweils eigene Märkte für Autos, Taxi-Dienstleistungen, Autovermietung und Werkstätten, so wird es in einer Welt der Mobilität als Service (as a Service) deutlich weniger Anbieter geben. Oligopole werden also die Mobilitätsdienstleistungen organisieren. So geschieht es gerade z.B. mit Uber, myTaxi und Lyft.

Da diese Plattformen zwei Märkte, also Nachfragegruppen, miteinander koppeln, reduziert sich die absolute Anzahl der Märkte für beide Seiten der Nachfragegruppen dramatisch.

Kann man digitale Plattformen reglementieren?

Damit ist dies auch die Antwort auf die Frage, wie Plattformen reglementiert und kontrolliert werden können: Wenn die Schnittstellen und Datenflüsse nicht mehr einzelnen Plattformunternehmen gehören und sich die Vorteile aus der Nutzung der Schnittstellen nicht mehr bei einzelnen (großen) Anbietern ansammeln können, könnte es nach wie vor viele Marktplätze, also auch doppelt-Marktplätze (Plattformen) geben.

Waren in der prä-digitalen Welt die Informations-Symmetrie und Transparenz wichtig, damit Märkte effizient und gerecht funktionieren, so bilden in der digitalen Welt der Plattformen und As a Service- Geschäftsmodelle offene und von allen nutzbare Schnittstellen die wesentliche Grundlage. Neben den offenen Schnittstellen müssen die Aggregations-Vorteile der transaktionierten Daten allen Nutzern der Schnittstelle transparent und offen zur Verfügung gestellt werden. Nur so kann verhindert werden, dass neue Aggregations-Monopole entstehen, die einen Wettbewerb der Ideen und Innovation verhindern.

In der Welt der Märkte hat es über 200 Jahre gedauert, bevor Wissenschaftler aus den anfänglichen Gedanken eines Adam Smith den Beweis für eine Markteffizienztheorie lieferten. Hoffen wir, dass die Wissenschaft heute schneller Beweise für die maximale Effizienz und Gerechtigkeit von digitalen Plattformen als zweiseitigen Märkten durch offene Schnittstellen und die Bereitstellung von aggregierten Transaktionsdaten findet.

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